“Machst du bitte sofort deine Hand wieder ins Boot? Hier gibt’s Krokodile!” Zetra, unser Guide, meint es ernst. Na großartig. Dank der Krokos ist nun also auch noch die letzte mögliche Abkühlung weg. Es herrscht brütende Hitze über dem Tsiribihina River. Kein Lüftchen, kein Schatten, nichts. Und dabei kann ich mich nicht beschweren. Ich muss, im Gegensatz zu unseren Pirougiers, nicht auch noch rudern.
Man kann natürlich auch mit dem Taxi Brousse von Antsirabe nach Morondava fahren. Oder man begibt sich auf ein einzigartiges Abenteuer durch die unberührte Natur Madagaskars Westens. Statt die Strecke an einem Tag zu bewältigen, entscheide ich mich für die mehrtägige Variante. Auf dem Fluss, statt auf der Straße, mit Boot und Jeep statt Taxi Brousse. Eine Woche durch Madagaskars wilde Natur und Einsamkeit.
Einfach ist es nicht, am Ende der Saison noch eine Gruppe zu finden, mit der ich die Reise antreten kann. Die Regenzeit steht unmittelbar bevor, und sobald die ersten Regentropfen fallen, sind die Straßen unpassierbar. Ich scheuche, unterstützt durch die äußerst hilfreiche Rezeptionistin meines Hotels, drei Guides durch Antsirabe. So lange, bis einer von ihnen drei Franzosen findet, die denselben Plan haben.
Am Morgen der Abreise plagen mich noch Magen-Darm-Probleme. Nichts ungewöhnliches in Madagaskar, das trifft hier jeden Reisenden mindestens ein Mal. Ich frage mich in den Stunden vor meiner Abholung, ob dieser Trip fernab der Zivilisation eine gute Idee ist, und bete den Reisedurchfall-Gott an, mir asap Besserung zu schicken.
Dann machen wir uns an einem heißen Tag Ende November auf den Weg. Zunächst mit dem Auto, fünf Stunden lang Richtung Westen über Madagaskars Straßen, die wie im ganzen Land auch hier übersät sind mit Schlaglöchern. Der Fahrer fährt davon unbeeindruckt als wäre sein klappriger Van ein Formel 1 Wagen, raucht nebenher Kette und schaut ein Fußball-Spiel auf seinem Handy an. Dass ich lebe, um diesen Bericht zu verfassen, ist ein Wunder.
Unser erstes Ziel ist das kleine Örtchen Miandrivazo. Nach der letzten Nacht in der Zivilisation geht es am nächsten Morgen auf die Boote. Die drei Franzosen und ich, unser Guide Zetra, drei Pirougiers, sowie jede Menge Ausrüstung und Vorräte. Uns begleiten außerdem zwei Hühner, wir taufen sie Mimi und Mimet. Sie scheinen eine Vorahnung zu haben, dass dies ihre letzte Reise wird. Mimet, eine furchtlose schwarz gefiederte Lady, unternimmt hier und da ein paar Fluchtversuche. Ich feuere sie an. Die Franzosen, ihrer Nationalität nach Fleischesser, drohen mir. Wenn ich die Hühner frei lasse, werden sie stattdessen mich über dem Lagerfeuer braten.
Und so lassen wir uns treiben, den Fluss hinab, vorbei an unberührter Natur und einsamen Dörfern. Wobei das stimmt nicht ganz. Es ist die Arbeit der Pirougiers, die uns den Fluss hinab befördert. Überhaupt, die Pirougiers, sie sind die wahren Helden der Reise. Sie rudern nicht nur unermüdlich unter der erbarmungslosen Sonne, nein sie kochen, teilweise sogar auf dem Boot, sie bauen unsere Camps auf und ab und singen Abends mit uns madegassische Lieder.
Der Fluss ist braun, er führt jede Menge Erde und Schlamm mit. Aber egal, wir baden trotzdem bei jeder Möglichkeit, die sich ergibt. Es ist einfach zu heiß. Der Kies ist danach überall, er kriecht in jede Körperöffnung. Das Highlight des ersten Tages ist ein Wasserfall, den wir Nachmittags erreichen. Unsere einzige Dusche auf dem Fluss ist frisch und klar, und wir sind tief betrübt, dass wir unser Camp nicht direkt am Wasserfall-Ufer aufschlagen können.
Das machen wir stattdessen später am Abend im Sand des Flussufers. Gegenüber liegt ein kleines Dorf, wir dürfen es besuchen während die Pirougiers das Camp aufbauen. Keine Straße führt hierher, die Zivilisation ist mindestens eine Tageslänge auf dem Fluss entfernt. Die Kinder reichen uns die Hand als wir aussteigen und lassen sie nicht mehr los. “Bonjour Vazah!” “Comment tu t’appeles?” “Donne-moi un bonbon, Vazah!”. Sie fragen nach unseren Namen, Bonbons und sonstigen Besitztümern, während sie uns durch ihr Dorf führen. Die Anrede “Vazah” für “Weißer” klingt uns immer und überall in Madagaskar in den Ohren.
Es wird Zeit für uns zu Abend zu essen. Das Essen auf dem Fluss ist das Beste, was ich in Madagaskar bekomme. Wie das möglich ist, ist mir schleierhaft. Die Zutaten brüten genau wie wir in der Hitze, das Geschirr wird im braunen Fluss gewaschen und gekocht wird auf transportierbaren Kohle-Öfen. Die erste Nacht bricht an, Zetra holt seine Gitarre raus und bringt uns traditionelle Lieder bei. Oben leuchten die Sterne, unten leuchten wir nach Möglichkeit nicht, da jede Lichtquelle in einer Insekten-Attacke resultiert.
Die Nacht bringt ein winziges bisschen Abkühlung. Doch schon morgens um 5 Uhr geht die Sonne wieder auf und kennt selbst so früh am Morgen kaum Gnade. Ich muss auf Toilette, ein kleiner Strauch etwas abseits vom Camp. Dort stelle ich fest, dass meine Magenprobleme weg sind, ich dafür aber meine Tage bekommen habe. Gut, denke ich mir, ich bin hier sowieso schon außerhalb meiner Komfortzone, gehe ich eben noch einen Schritt weiter raus. Mir fällt ein, dass ich mir glücklicherweise noch vor zwei Tagen erst in Antsirabe eine Tasse gekauft habe, um einem Granola-Müsli-Gelüst nachzugeben. Ich funktioniere sie um, zur Tasse für die (Reinigung der) Tasse.
Da ich nun nicht mehr möchte, dass Kies in alle meine Körperöffnungen kriecht, fällt die Erfrischung im braunen Fluss heute für mich flach. Ob ich Angst vor Wasser hätte fragt mich Zetra, als ich als einzige tagsüber nicht in die schlammigen Fluten tauche. Ich behaupte, mir wäre gar nicht so heiß.
Weiter geht es, den Fluss hinunter, es hat etwas Meditatives. Krokodile sehen wir nicht, aber Vögel fliegen vorbei, Fischer fahren auf ihren Booten und am Ufer winken die Kinder. “Bonjour vazah!!”
Die Franzosen haben ein Moskitonetz dabei und möchten unbedingt fischen. Unglaublich, aber das funktioniert tatsächlich. Sie fangen jede Menge Garnelen. Somit ist das Mittagessen zumindest für die Fleischesser unter uns gesichert. Abends müssen Mimet und Mimi daran glauben. Ich habe es leider nicht geschafft, sie heimlich zu befreien. Die Pirougiers reichen uns eine Flasche. Eigentlich halte ich mich beim Alkohol zurück, aber zwischendurch mal etwas anderes als heißes Wasser zu trinken, ist zu verlockend. Es ist heißes Rum-Obstsaft-Gemisch, und schmeckt ab dem zweiten Glas überraschend gut.
Mittlerweile habe ich übrigens Farbe angenommen. Doch meine Haut ist nicht sonnengebräunt, sondern einfach nur dreckig. In der Hitze habe ich manchmal Halluzinationen und sehe eine flimmernde Dusche am Fluss-Horizont. Wenn wir uns ihr nähern, verschwindet sie. Eine Nacht und einen Tag noch, dann werden wir in einem Hotel sein.
Am dritten Tag erreichen wir die Straße wieder, von hier aus geht es mit dem Jeep weiter, denn die Straße ist keine Straße, sondern eine Schotterpiste. Der Fahrer hält an einem kleinen Kiosk an. “Hier könnt ihr kalte Getränke kaufen.” Zum ersten Mal seit drei Tagen, wir lassen uns das nicht zweimal sagen. Kurz danach müssen wir den Fluss, der so lange unser Begleiter war, überqueren. Eine abenteuerliche Fähre steht dafür bereit. Danach geht es nördlich. Unser Ziel ist der Tsingy de Bemaraha, ein Nationalpark mit einzigartiger Felsformation. Dort im Dorf werden wir im Hotel übernachten. Ich denke wieder sehnsüchtig an die auf mich wartende Dusche.
Kurz vor unserer Ankunft informiert uns Zetra, dass aufgrund des Saisonendes alle Hotels schon geschlossen hätte, aber er hätte heldenhaft noch eins für uns gefunden. Er bringt uns in ein Hotel mit fragwürdigem Ambiente. Es scheint sich um eine Unterkunft für LKW-Fahrer zu handeln. Die Dusche ist ein Eimer Wasser, die Toiletten eine schmutzige Gemeinschafts-Angelegenheit wo mir jedes Mal wenn ich muss, jemand hinterher läuft, um zu fragen ob es sich um ein kleines oder großes Geschäft handelt. Denn beim großen muss man mir erst noch einen Eimer Wasser zum spülen rein stellen. Morgens fangen direkt vor unseren Zimmern ab 4:30 Uhr die Motoren der LKWs an zu röhren – eine unsägliche madegassische Angewohnheit, Motoren durchgehend laufen zu lassen. Ich wünsche mich umgehend wieder zurück ans Flussufer.
Das Nachbarhotel, was ebenso wie andere Hotels am Ort äußerst geöffnet ist, hat einen Pool. Die beiden Französinnen, die unsere Unterkunft mittlerweile “Hotel de Merde” getauft haben, fragen freundlich nach. Man sieht uns unseren sehnlichen Wunsch nach klarem Wasser anscheinend an, denn wir dürfen ihn netterweise benutzen. Ich spreche Zetra auf die Hotel-Situation an. Er erklärt mir grinsend, dass er unser Hotel ausgewählt hätte, weil er dort einen Vorteil erhält. Ich bin genervt. Ich werde hier für meinen Geschmack ein bisschen zu oft angelogen. Jedes Mal, wenn ich ein Taxi oder Taxi Brousse nehmen möchte, jetzt auch noch von meinem Guide.
Am nächsten Tag fahren wir zum Tsingy de Bemaraha. Unser Jeep leidet an Altersschwäche und anderen Krankheiten. Er hat zunächst einen Platten und bleibt dann mehrfach im Schlamm stecken. Weder Guide noch Fahrer haben Geld dabei, sodass ich einen Dorfbewohner bezahlen muss, uns raus zu schaufeln. Aber die Anfahrt lohnt sich. Der Tsingy ist einzigartig, man muss hier sogar ein bisschen klettern, kann sich endlich mal wieder richtig bewegen. Auf dem Rückweg halten wir unter Mangobäumen an und essen Mango, frischer geht es nicht.
Auf dem Programm steht vor der Rückkehr in die Zivilisation, bzw. nach Morondava, noch der Besuch der berühmten Baobab Allee. Der Weg dorthin mit dem Jeep ist tagesfüllend. Die Hitze auf dem Fluss hat Spuren an mir hinterlassen. Ich habe einen Sonnenbrand auf der Lippe, so ausgeprägt, dass er Bläschen schlägt. Ich sehe aus wie Quasimodos Tochter und was noch schlimmer ist, es brennt so sehr, dass ich keine Mangos mehr essen kann.
Der Sonnenuntergang hinter den mächtigen Baobabs ist toll, aber ich bin dennoch froh, nicht wie die meisten Touristen nur deswegen auf dem normalen Weg nach Morondava gefahren zu sein. Die Fahrt auf dem Fluss war trotz der Widrigkeiten ein grandioses Abenteuer. Ich habe Freundschaften geschlossen und wunderschöne Sonnenuntergänge und -aufgänge über dem Fluss gesehen. Die Sterne leuchten fernab jeglicher Lichtquellen unfassbar schön und die Pflanzen- und Tierwelt ist hier völlig unberührt. Und nicht zuletzt erinnert mich das einfache Leben doch immer wieder an die Dinge, die besonders wertvoll sind.
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