Pakistans Swat Valley – Meine außergewöhnliche Reise in eine andere Welt

Stop! Wait!

Überrascht drehe ich mich um. Ich bin gerade dabei, mein Hotel zu verlassen um Wasser zu kaufen und mich im Ort ein bisschen umzusehen. Einer der Hotelangestellten läuft aufgeregt hinter mir her. Er gibt mir zu verstehen, dass er mit mir mitkommen wird. Ich bin mir nicht sicher, warum. Auf dem Weg hierher habe ich schon eine Polizei-Eskorte bekommen. Ist es doch gefährlicher hier als gedacht? Immerhin bin ich nicht irgendwo, sondern befinde mich mitten in Pakistan.

Der Ort, in dem ich gestrandet bin, heißt Chilas. Ich bin hier nur auf der Durchreise. Mein Ziel ist das Swat Valley, von dem mir auf meiner bisherigen Reise viele erzählt haben, es wäre vielleicht die schönste Region Pakistans. Zwei Freunde auf dem Weg nach Lahore haben mich ein Stück mitgenommen, bis zur Abzweigung nach Chilas. Am dortigen Polizei-Checkpoint habe ich die Eskorte bekommen. Was bedeutet, die Polizisten haben für mich ein Auto angehalten, und einen von ihnen mitfahren lassen. Auf Ausländer wird gut aufgepasst in Pakistan.

Die Hauptstraße in Chilas.

Im Hotel befinden sich nur Männer. Das bin ich mittlerweile schon gewohnt. Sie schauen meist neugierig, wenn man sie anspricht sind sie fast ausnahmslos freundlich. So werde ich auch hier von ihnen zum Tee eingeladen, einige Selfies inklusive. Ich habe den Überblick verloren, in wie vielen pakistanischen Handys mittlerweile Fotos von mir zu finden sein müssen. Ich frage nach, warum ich vorhin nicht alleine raus durfte. Wegen der Sicherheit?

No, no, this place is very safe. It’s a cultural thing.

Chilas ist eine der konservativsten Städte Pakistans. Um kulturelle Missverständnisse zu vermeiden, lässt man Ausländer hier nicht nicht alleine herumlaufen und Frauen schon gar nicht. Auch einheimische Frauen sehe ich hier nicht – ein merkwürdiges Gefühl. Später erfahre ich, dass es in der Region durchaus ab und an Zwischenfälle gibt und Ausländer auch deswegen hier Polizei-Eskorten bekommen.   

Ausblick bei Chilas.

Der Besitzer des Hotels bietet mir an, eine kleine Rundfahrt zu machen. Klar, warum nicht, alleine raus darf ich ja eh nicht. Er zeigt mir einige mehrere hundert Jahre alte Felszeichnungen und wir halten unterwegs an, um Granatäpfel zu kaufen. Es sind die Besten, die ich je gegessen habe. Irgendwann ändert sich die bis dahin entspannte Stimmung. Er fragt mich nach meinem Beziehungsstatus. Ich behaupte, verheiratet zu sein und eine kleine Tochter zu haben. In der Vergangenheit hat das geholfen, die Annäherungsversuche unverheirateter pakistanischer Männer im Keim zu ersticken. Dieses Mal nicht. Er fragt, ob er später in mein Hotelzimmer kommen kann. Es wäre ja nur eine Nacht. Ich lehne vehement ab. Er probiert es nochmal.

Please?

NO!

Angst habe ich keine, denn er hat mehr Angst. Er bittet mich, die Unterhaltung für uns zu behalten.

If my father would know, he would kill me.

Die Menschen hier stecken fest, zwischen ihrem Glauben und der Moderne. 

Neue und alte Fels-Zeichnungen in Chilas. 

Zurück im Hotel haben zwei pakistanische Touristen aus Lahore das Zimmer neben mir bezogen. Wir kommen ins Gespräch. Sie laden mich ein, ihnen beim Abendessen Gesellschaft zu leisten. Die Männer sind gebildet und sehr respektvoll. Es wird einer der Abende, wo sich wildfremde Menschen sehr private Dinge erzählen. Die beiden sind um die 40, hatten noch nie ein Date oder eine Freundin, wie fast alle Menschen die in Pakistan leben. Einer ist alleinstehend, der andere geschieden. Die arrangierte Ehe hat nicht funktioniert. Wir reden über Gott und die Welt und verstehen uns gut, trotz der kulturellen und religiösen Differenzen. Sie verabschieden sich mit einer Einladung.

If you come to Lahore, call us! You will be our guest.

“Ping” Eine WhatsApp. Es ist Julien, ein Franzose, den ich vor einigen Tagen in Gilgit kennengelernt habe. Er ist auch auf dem Weg nach Swat und kommt morgen durch Chilas. Ob ich auf ihn warten möchte? Klar. Nach dem Erlebnis mit dem Hotelbesitzer gestern habe ich nichts gegen männliche Begleitung einzuwenden.

Am nächsten Morgen ziehen wir zu zweit los. Zunächst müssen wir uns bei der örtlichen Polizei registrieren. Wir kennen das Prozedere mittlerweile. Neu ist hier in der Gegend die Frage nach dem Namen unseres Vaters. Die stößt bei uns auf Unverständnis und bei den Polizisten stößt auf Unverständnis, dass wir wissen wollen, was genau sie mit den Namen unserer Väter anfangen wollen. Unsere Daten werden handschriftlich in dicke Bücher geschrieben. Der pakistanische Geheimdienst soll einer der besten der Welt sein. Mir ist schleierhaft, wie das ohne Computersystem funktionieren soll. Die Einheimischen haben Vertrauen in das System.

They always know where you are!

Wahrscheinlich liegt das eher daran, dass Ausländer hier noch so selten sind, dass sich ihr Aufenthalt in jedem Ort sofort wie ein Lauffeuer verbreitet. Wo wir denn hin möchten, fragen die Polizisten.

Swat Valley.

Ok come, we will help you.

Sie halten an der Straße für uns den passenden Bus an. Die Polizei, dein Freund und Helfer.  

Blick aus dem Bus, auf der Straße zwischen Chilas und Besham.

Wir fahren nach Besham, wo wir übernachten wollen, denn bis nach Swat schaffen wir es heute nicht mehr. Wir brauchen 7 Stunden für 200 Kilometer. Unser Weg führt uns durch eine nicht enden wollende Schlucht. Der Fluss muss sich über Jahrhunderte seinen Weg durch die rauen Fels-Riesen gebohrt haben. Die Aussicht ist so grandios wie die Straße schlecht ist.  Wir halten unzählige Male, damit wir Ausländer uns an diversen Polizei-Checkpoints registrieren. Es geht mal schneller, mal länger. So selten sind ausländische Touristen hier, dass die Polizisten teilweise nichts mit unseren Reisepässen anfangen können.

Do you have a Pakistani ID Card?

Umm, no.

Rätselraten und wilde Diskussionen auf Urdu. Telefonate werden geführt. Bis man sich einig ist, uns ziehen zu lassen.

Ok, you can go. But please, first, one selfie?

Wir haben ein schlechtes Gewissen den anderen Fahrgästen gegenüber. Ihre Fahrt verzögert sich wegen uns um mindestens eine Stunde. Sie winken ab.

You are our guests here!

Ankunft in Besham.

Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg von Besham nach Mingora, Swats Hauptstadt. Hierher fährt kein Bus. Wir müssen ein Sammeltaxi nehmen. Am Taxistand derselbe Anblick wie immer, ein chaotisches Gewusel, das nur aus Männern besteht. Und ich. Die Stadt ist ein Gemisch aus Brauntönen und Sand, mein pinkes Outfit ein schreiender Farbkleks. Julien und ich behaupten mittlerweile, dass wir verheiratet sind. Das macht es einfacher für mich. Dass eine Frau alleine reist, ist für die Menschen hier schlicht unverständlich.

Die Männer hier unterhalten sich vorsichtshalber nur mit Julien. Mit meiner Anwesenheit wissen sie erstmal nicht so viel anzufangen. 

Auf der Fahrt Richtung Swat tauchen wir in eine andere Welt ein. Wir fahren durch staubige Ortschaften, in denen das Leben der Menschen, die dort leben, wie ein Film an uns vorbei zieht. Alte Trucks, die gefühlt jede Sekunde auseinander fallen könnten fahren vorbei. Die Menschen ziehen voll beladene Holz-Wägen oder tragen Säcke auf ihren Rücken. Sie treiben Ziegen und Kühe durch die Straßen. Reiter auf Pferden und Esels-Karren kreuzen unseren Weg. Mittlerweile sind auch Frauen auf den Straßen zu sehen, aber ausschließlich stark verschleiert. Die meisten sind in Burkas eingehüllt. Hier und da blitzen ein paar dunkle Augen hervor, aber mehr ist von ihnen nicht zu sehen. Die Männer tragen Salwar Kameez, die traditionelle Kleidung. Westliche Kleidung, die in Islamabad und dem Norden Pakistans noch Gang und Gäbe war, ist hier komplett verschwunden.

Straße in Mingora.

In Mingora angekommen treffen wir Hamad* auf einen Chai Tee. Ich habe ihn vor meiner Reise über die Facebook Gruppe Backpacking Pakistan kennengelernt. Er ist weltoffen und freundlich, und ich nutze meine Chance, nach den Frauen zu fragen. Er und seine Freunde gehen gerne im Swat Valley wandern. Sind da nie Frauen dabei?

No, they have other interests in our culture.

Ich denke kurz an Samina Baig, die erste pakistanische Frau, die den Mount Everest bestiegen hat und die im Norden des Landes als Heldin verehrt wird. Aber das möchte ich dann doch nicht weiter diskutieren. Das steht mir nicht zu.

Ich wechsle das Thema, wenn auch ungleich heikler. Bis zur Befreiung 2009 durch die Armee herrschte im Swat Valley die Taliban. Einer der Gründe, weshalb der Tourismus völlig zum erliegen kam und nur zaghaft wieder Fahrt aufnimmt. Wie war das Leben damals für die Menschen hier, kann er mir dazu etwas erzählen?

Sure, no problem, you can ask me anything!

Sie durften keine Jeans tragen, und keine Musik hören. Friseure durften keine Bart-Rasuren mehr anbieten. Frauen durften ohne männliche Begleitung grundsätzlich nicht nach draußen. Freunde von ihm wurden einmal von der Taliban erwischt, als sie Jeans trugen und dabei Musik hörten. Sie bekamen zum Glück nur eine Verwarnung. Nachts wurden Menschen für ihre “Vergehen” auch mal entlang der Straßen aufgehängt. Mingora ist die Heimat von Malala Yousafzai, die sich für Bildung für Mädchen einsetzte und dafür von Taliban in den Kopf geschossen wurde. Sie hat für ihr Engagement den Friedensnobelpreis gewonnen und lebt mittlerweile in London.

Wir lassen das dunkle Kapitel der Region hinter uns. Er fährt mit uns raus aus der Stadt, und zeigt uns einen der wenigen verbliebenen Buddhas of Swat, der im 7. Jahrhundert in einen Fels gehauen wurde. Er wurde teilweise von den Taliban zerstört, aber vor einigen Jahren restauriert. 

Viele Jahrhunderte lang war Swat buddhistisch, bis die Religion vom Islam und Hinduismus verdrängt wurde.

Gegen Abend treffe ich mich mit Ihsan. Seine Freunde und er sind Studenten und haben die Swat Valley Backpackers gegründet. Sie möchten Touristen, die den Weg hierher finden, mit Rat und Tat zur Seite stehen.

We want to encourage tourism in Pakistan!

Ihsan von den Swat Valley Backpackers ist super hilfsbereit und gibt uns zahlreiche Informationen und Tipps.

Ihsan lädt mich ein, ihn und seine Freunde in die Berge zu begleiten, wo sie jedes Wochenende grillen. Wir fahren kurvige Straßen hinauf, durch an Hänge geschmiegte Dörfer, bis wir an einem Fluss unser Lager aufschlagen. Auch hier bin ich weit und breit die einzige Frau. Ich sitze mit den Jungs am Feuer, sie erzählen sich Geschichten, grillen 2 Hühner. Alkohol gibt es keinen. Dafür wird geraucht. Marihuana wächst überall in Pakistan am Straßenrand. Später laden sie weitere Freunde ein, die unter dem endlosen Sternen-Himmel extra für mich ein Konzert mit traditioneller Folklore-Musik spielen. Zwischendurch verabschieden sich die Jungs immer wieder, um zu beten.

Julien und ich möchten am nächsten Tag nach Kalam. In der nördlichsten Stadt im Swat Valley soll die Landschaft besonders schön sein. Wir nehmen den Bus, der wie alle Busse erst dann fährt, wenn er voll ist. Gefühlt stapeln wir uns mit anderen Menschen, kleinen Kindern, Kisten und Tüten voller Lebensmittel.

Warten darauf, dass sich der Bus füllt. Die Männer hinter mir sind ob meiner Anwesenheit anscheinend etwas skeptisch. 

Unterwegs halten wir an um Mittag zu essen. Im Gastraum des Restaurants sitzen nur Männer. Wir werden ein Stockwerk tiefer gebeten, dort befinden sich die sogenannten Family Rooms. Hier essen die Frauen mit ihren Männern und Familien und somit auch wir. So viel denke ich jetzt nicht darüber nach. Ich habe Hunger und das Essen ist einfach aber unglaublich lecker.   

Straßen-Restaurants wie diese gibt es in Pakistan unendlich viele. 

In Kalam angekommen checken wir in ein einfaches Hotel ein. Der Besitzer hat ein offenes Lachen, seine Zimmer sind günstig, die Sauberkeit lässt zu wünschen übrig. Dafür punktet die Terasse mit einer Aussicht, die uns zum Sonnenuntergang jeden Abend ein Bergleuchten beschert, was seinesgleichen sucht. Wir blättern in seinem Registrierungsbuch und finden in den letzten 3 Jahren 7 ausländische Gäste. Uns inklusive.

Bergleuchten in Kalam, Blick von der Terrasse des Mehboob Hotels.

Kalam ist eine staubige, chaotische Stadt. Das Leben spielt sich am Bazar in der Stadtmitte ab. Ich falle auf wie ein bunter Hund. Hierher verirren sich nur selten ausländische Touristen und noch seltener Frauen. Julien merkt an, obwohl er nicht mein echter Ehemann ist, findet er die Blicke der Männer auf mich nicht so toll. Wir gehen in einem Restaurant mitten im Bazar essen. Der Besitzer lässt die Vorhänge in einer Ecke herunter für uns. Frauen essen nicht gemeinsam mit fremden Männern. Sie sind dennoch genauso neugierig Fremden gegenüber wie im Rest des Landes.

Where are you from?

France and Germany.

Wowww! She’s your wife?

Yes.

Wohlwollendes Nicken allerseits.

Any children?

No.

Enttäuschtes Kopfschütteln allerseits.

Ooohhhh. Maybe next year!

Wenn die wüssten.

Der Bazar in Kalam.

Swat entfaltet seine endgültige Schönheit hinter Kalam. Wir mieten ein Auto mit Fahrer und fahren Richtung Mahodand Lake. Der Weg dorthin ist ein unglaubliches Erlebnis. Wir fahren durch Dörfer so abgelegen, dass ich das in Worten kaum beschreiben kann. An die grünen Hänge entlang des Swat Rivers schmiegen sich die kleinen Ortschaften. Die Menschen leben hier in einfachsten Unterkünften, die Häuser oft zusammengewürfelt aus Mauern, Holz, Wellblech und Zeltplanen.

Dorf in den Bergen Swats.

Männer, Frauen, Kinder, alle müssen hier mit anpacken. Die Männer arbeiten auf den Feldern, ihre Frauen waschen Kleider und Geschirr im Fluss, die Jungen treiben Ziegen durch die Straßen. Kleine Mädchen mit Kopftüchern kümmern sich um ihre jüngeren Geschwister. Wie hart das Leben hier für die Menschen sein muss, das können wir uns in unserer Welt kaum vorstellen.

Schon die Kleinsten müssen in den entlegenen Dörfern Swats mithelfen.

Die Landschaft ist dabei so atemberaubend schön wie man es uns überall im Land erzählt hat. Der Fluss, der sich durch das Tal zieht, sieht aus wie gemalt. Links und rechts strecken sich die grün bewachsenen Berge in die Höhe, dahinter die nackten Berg-Riesen aus Stein und Geröll. Stellenweise sind ihre Spitzen schon mit Schnee überzuckert. Der Winter kommt früh und geht spät im Swat Valley. Es ist erst Anfang Oktober aber die Nächte schon jetzt empfindlich kalt.

Ausblick auf das Swat Valley.

Unterwegs treffen wir eine Gruppe einheimischer Touristen. Sie winken uns zu sich, wollen Selfies machen, uns in einem Restaurant zum Tee einladen. Es sind Männer aus Karachi, die eine Reise durch ihr eigenes Land unternehmen. Die Frage nach den Frauen lässt mich nicht los. Wo sind denn ihre Ehefrauen?

They are housewifes, they don’t like to travel. 

Alleine unter Männern: völlig normale Situation wenn man als Frau durch Pakistan reist. 

Auf dem Rückweg treffen wir Ali und Salman, zwei weitere einheimische Touristen aus Islamabad. Sie sind jung und abenteuerlustig und wollen am nächsten Tag einen Ausflug zum Kandool Lake machen. Ob wir mitkommen möchten? Klar. Sie holen uns am nächsten Morgen mit dem gemieteten Jeep ab. Wir fahren in ein anderes Tal, wieder durch Dörfer, so abgelegen, dass der Begriff Ende der Welt eine neue Bedeutung für mich erhält.

In den Bergen Swats.

Einige Dorfbewohner begleiten uns ein Stück auf unserer Wanderung. Wir machen Rast, ich verteile unsere Kekse. Gastfreundschaft geht hier in beide Richtungen. Die Landschaft ist wunderschön, die Sonne scheint auf die Berge, die Bäume und die Wiesen, und bringt die Flüsse und Wasserfälle zum Glitzern. Irgendwo im Dorf spielt jemand Musik. Wenn die Zeit hier nicht sowieso schon stehen geblieben wäre, ich würde sie jetzt anhalten.

Beim Wandern im Swat Valley.

Auf dem Rückweg erzählt mir Ali seine Geschichte. Er ist 23, und mit einer Cousine verlobt. Sie studiert in den USA, die beiden haben sich noch nie gesehen. Wie die meisten Ehen, ist auch seine arrangiert. Aber er möchte seine zukünftige Ehefrau zuerst kennenlernen. Im November fliegt er nach Thailand, um sich mit ihr zu treffen. Weder seine noch ihre Eltern wissen davon. Seine Verlobte möchte nach Harvard, erzählt er mir stolz. Ich frage vorsichtig nach, ob sie nach der Hochzeit eine Hausfrau sein wird. Nein, sagt er. Ich unterstütze ihre Karriere, wir möchten beide arbeiten. Das ist in Pakistan also doch möglich. Dann fragt er mich nach dem Rezept meiner erfolgreichen Ehe mit Julien. Ich weiche aus. Es fühlt sich nicht gut an, ihn anzulügen. Doch es ist entspannter für mich so. Westliche Frauen, die alleine hierher kommen, sind bekannt dafür, dass sie leicht zu haben sind. Bzw. überhaupt zu haben, im Gegensatz zu den einheimischen Frauen. Ali hat ein Schengen Visum beantragt. Wenn es genehmigt wird, will er uns in Europa besuchen. Inshallah.

Dorf im Swat Valley.

Es wird Zeit für uns, wieder nach Islamabad zurück zu kehren. Früh am nächsten Morgen, während Kalam erwacht und die ersten Sonnenstrahlen vorsichtig ihre Strahlen über die umliegenden Berge werfen, machen wir uns auf den Weg zur Hauptstraße. Wir nehmen ein Taxi nach Mingora. Der Fahrer spricht Englisch, wie fast jeder in Pakistan.

I’m proud to have foreigners in my taxi!

Die Fahrt führt uns über die holprige, staubige Straße durch das langgezogene Tal und die Dörfer Swats. Überall sind Kinder auf dem Weg zur Schule. Kleine Jungs in Salwar Kameez, kleine Mädchen mit Kopftüchern, die immer etwas ernster schauen als ihre Brüder. Sie laufen, rennen oder springen auf vorbeifahrende Lastwagen auf.

Wunderschönes Swat.

Urdu Music?

Yes, sure!

Unser Fahrer macht das Radio an. Die orientalischen Klänge erfüllen das Auto mit Musik und unsere Seelen mit Pakistan. Draußen ziehen die Berge an uns vorbei, begleitet vom Swat River, der türkis funkelt als würden Diamanten in ihm fließen statt Wasser. Wir müssen immer wieder anhalten um die prächtigen bunten pakistanischen Lastwagen vorbei zu lassen. Ihre Schönheit steht für mich für die Schönheit ihres Landes.

Es gibt wohl nirgendwo schönere Lastwagen als in Pakistan.

Meine Gedanken ziehen mit der Landschaft vor meinen Augen vorbei. Mich erfasst ein Gefühl, was sich nur schwer in Worte fassen lässt. Ich habe Orte gesehen, so entlegen, wie nie zuvor. Ich habe Neugier und Gastfreundschaft erlebt und ein Land kennengelernt, was wahrscheinlich so missverstanden ist wie kaum ein anderes auf der Welt. Wie wenig wissen wir über dieses Land, und wie stark ist dennoch die Meinung, die wir uns darüber gebildet haben. Ohne jemals staunend seine atemberaubende Schönheit gesehen zu haben, mit den höchsten Bergen der Welt, grünen Tälern und türkisen Flüssen. Ohne jemals eine Unterhaltung mit seinen Menschen geführt zu haben. Die so gebildet sind, so stolz auf ihr Land und dabei so unendlich gastfreundlich.

Der Taxifahrer dreht sich zu uns um.

You like Pakistan and Swat?

Es kann nur eine Antwort geben.

Yes. It’s perfect.


Hinkommen

Von Islamabad und Lahore kommt man mit Daewoo Bussen nach Mingora, Swats Hauptstadt. Die Anreise aus dem Norden ist von Gilgit aus über Besham möglich. Dorthin kommt man von Gilgit oder Chilas aus mit dem Bus, von Besham aus nimmt man ein Sammeltaxi (2DCar genannt) nach Mingora. Von dort aus kommt man entweder mit dem Minibus oder einem Sammeltaxi nach Kalam.

Unterkommen

In Besham und Mingora habe ich in PTDC Hotels übernachtet. Sie gehören der Regierung und sind zwar für pakistansiche Verhältnisse etwas teurer (3.500 PKR / ca. 23€ für ein Doppelzimmer) aber sehr gut ausgestattet und sauber. In Kalam gibt es Hotels jeder Preisklasse. Hier habe ich im Mehboob Hotel übernachtet, was zwar sehr günstig (600 PKR / ca. 4€ für ein Doppelzimmer) aber dafür nicht ganz sauber ist und nur über eine Bucket Shower verfügt.

Rumkommen

Von Kalam direkt kann man eher keine Wanderungen unternehmen. Zu allen bekannten Ausflugszielen der Region kann man Autos oder Jeeps mieten. Die Preise sind Verhandlungssache und liegen bei ca. 2.500 PKR (16€) für ein Auto und 4.000 PKR (26€) für einen Jeep.

Informieren

Ihsan und seine Freunde von den Swat Valley Backpackers sind super hilfsbereit und treffen sich in Mingora gerne mit denjenigen Touristen, die den Weg hierher finden. Sie helfen beim Finden einer Unterkunft, geben Tipps zu Aktivitäten und Wanderungen und beantworten überhaupt alle Fragen, auch schon im Vorhinein.

Als Frau alleine nach Swat reisen

Da ich alleine in Pakistan unterwegs war, hatte ich eigentlich auch geplant, alleine nach Swat zu reisen. Zwischendurch habe ich mich immer wieder gefragt, ob ich es tatsächlich alleine bis nach Kalam geschafft hätte. Da die Gegend wirklich super konservativ ist, und die Tatsache, dass bei den Checkpoints nur noch Julien in seiner Funktion als mein “Ehemann” kontrolliert wurde, habe ich das bezweifelt. In Kalam bin ich hin und wieder auch alleine auf den Bazar gegangen, das war kein Problem. Die Männer in den Geschäften haben mich in diesem Fall nicht von sich aus angesprochen, waren aber sehr freundlich nachdem die erste Ansprache von mir kam.

Wieder zu Hause habe ich über die Facebook Gruppe Female Pakistan Travelers einen Aufruf gestartet um nach Erfahrungsberichten zu fragen. Daraufhin hat sich June bei mir gemeldet, eine erfahrene Reisende, die in fast allen islamischen Ländern der Welt war und alleine nach Mingora gereist ist. Man lies sie nicht mehr mit dem Bus fahren, sondern brachte sie “zu ihrer eigenen Sicherheit” mit einem Privatauto in ein Hotel in Mingora. Ihr wurde außerdem ein Polizist als Eskorte zur Seite gestellt, der nicht mehr von ihrer Seite gewichen ist, sie überall hin begleitet hat und auch vor ihrem Hotelzimmer “gewacht” hat. Sie wurde ihn erst wieder los, als sie bei Freunden unterkam und ihm gegenüber sehr deutlich ausgedrückt hat, dass sie seine Begleitung nicht möchte.

Im Nachhinein war meine Bekanntschaft mit Julien also wirklich ein äußerst glücklicher Zufall. Alleine als Frau nach Swat zu reisen scheint zumindest aktuell noch eine Herausforderung zu sein. Sollte jemand andere Erfahrungen diesbezüglich gemacht haben, freue ich mich sehr über eine Nachricht oder einen Kommentar.

*Einige Namen im Text sind zum Schutz der entsprechenden Personen geändert.


Ich freue mich, wenn dir mein Artikel gefallen hat und ich dich zu einer Reise nach Pakistan und ins Swat Valley inspirieren konnte. Wenn du magst, folge mir gerne auf:

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Servus, ich bin Annika. Auf der Suche nach den traumhaftesten Sonnenuntergängen und Gipfeln mit den atemberaubendsten Aussichten reise ich durch die Welt. Besonders angetan haben es mir außergewöhnliche Länder. Über die Abenteuer, die ich in diesen als alleinreisende Frau erlebe, berichte ich euch hier. 

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